Auszug aus "Der Torero" von Tom Lea 5

 
    "Und doch wissen auch viele Aficionados von richtigem Schrot und Korn nicht das geringste über den tieferen Sinn, der unserem edlen Spiel zu Grunde liegt", sagte der Ingenieur und schlürfte seinen Manzanilla. "Gewiß sind alle Künste weit von den Impulsen entfernt, aus denen sie einmal geboren wurden. Lose Zungen haben sich ihrer bemächtigt und Inhalte damit verbunden, die nichts mit ihren ursprünglichen Impulsen zu tun haben. So muß man schon eine Liebe zum Philosophieren und ein gewisses Verständnis dafür haben, um eine Kunst voll zu würdigen."
    "Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, mein lieber Vilar, daß die meisten Menschen heute weit davon entfernt sind, den Stierkampf als eine Kunst zu betrachten", bemerkte Santana. "Für sie ist der Stierkampf nichts als eine Art blutiger Sport, ein gemeiner und nutzloser Akt der Gewalt."
    "Richtig, Santana", sagte der alte Alberto Iriarte, "laß uns nur den Ingenieur etwas mehr nach seiner Philosphie ausfragen!"
    "Nun", sagte der Ingenieur, "meine Philosophie ist sehr einfach. Ich behaupte, daß keine der großen Künste ursprünglich aus künstlerischen Motiven und Impulsen heraus entstanden ist. Kunst hat ihre Wurzel in Dingen, die zunächst nur nützlich waren oder dem Zeitvertreib dienten. Der Stierkampf zum Beispiel ist aus beidem entstanden. Zunächst war er nichts weiter als eine Jagd, die Jagd nach Fleisch in den Bergen Spaniens. Dann wurde er ein sportlicher Zeitvertreib für Reiter, die mit Lanzen bewaffnet waren. Vor Zuschauern. Aber es blieb nicht dabei. Der Stierkampf entwickelte sich genauso, wie die anderen Künste auch. Nehmen Sie die Musik: vielleicht war sie zunächst nichts weiter als ein Grunzen, das von zwei aneinander geschlagenen Stäben begleitet war, und der Maler hatte ursprünglich nichts weiter im Sinn, als die Wände einer Höhle oder Krüge mit Punkten zu beklecksen. Heute ist Musik und Malerei viel mehr. Und so ist auch die Corrida de Toros weit mehr als ein Sport."
     "Natürlich wissen wir alle, daß unser edles Spiel nichts mit Sport zu tun hat, sondern ein Schauspiel ist", warf der alte Iriarte ein. "Es ist eine Art Drama, ein Tragödie, so wie es die Werke eines Sophokles sind. Aber was für ein Unterschied besteht zwischen dem, was sich auf der Bühne zuträgt oder in einem epischen Gedicht ereignet, und dem, was in der Plaza geschieht?"
    "Unser Stierkampf, meine Herren", fuhr der Ingenieur fort, "ist die einzige Kunstgattung, in der Gewalt, Blutvergießen und Tod nicht dargestellt werden, sondern real vorhanden sind. Es ist die einzige Kunstgattung, in der es Aufgabe des Künstlers ist, Tod auszuteilen und Tod zu riskieren. Es ist so, als würden wir einen Dichter auffordern, seine Verse mit seinem Leben zu skandieren. Es ist das Anschauen dieser sichtbar gewordenen Gewalt, das Wissen darum, daß die Gefahr nicht gespielt, sondern eine Realität ist, was dieser Kunst ihre geheimnisvolle Macht über die menschlichen Herzen verleiht".
     "Es ist aber auch Realität, daß diese Kunst mit Sport verwechselt wird und daß erst recht die Ausländer das tun. Bei ihnen ruft ja allein schon der Anblick von richtigem Blut Abscheu oder einen krankhaften Schauder hervor", sagte Santana.
    "Alle Künste, auch die abstraktesten, sind ihrem Wesen nach dazu angetan, den Menschen erschauern zu lassen", warf Don Alberto von neuem ein. "Die Kunst gibt dem Menschen die Möglichkeit, sich als Schöpfer zu gebärden und damit am göttlichen Plan aktiv teilzuhaben, ohne in die Gefahr zu kommen, alles das leben zu müssen. Man kann sicher in seinem Lehnsessel sitzen bleiben!"
    "Ich sehe das Kernstück des Problems in folgendem", sagte der Ingenieur. "Es ist ein großer Unterschied zwischen der Erschütterung, die wir durch die Kunst erleben, und dem Schauer, der uns überfällt, wenn wir etwas Aufregendes, Gefahrvolles als Zuschauer miterleben. Es ist ein Unterschied, wie er etwa zwischen einer Corrida de Toros und einem Motorradrennen besteht. In beiden Fällen sind wir Augenzeugen eines gefahrvollen Unternehmens, doch dies allein vermag unser Erleben nicht auf eine höhere Ebene hinauszuheben. Erst die Kunst tut es, hebt es über das Zufällige hinaus. Wenn ich eine Corrida de Toros als Kunst ansehe, dann geschieht es, weil ich darin ein Sinnbild meines eigenen Schicksals, meines Kampfes mit Gewalt und Tod erblicke. Kann ich das Sport nennen? Ich könnte es vielleicht, wenn der Mann einen Kampf mit einem gleich starken Gegner austragen würde. In der Plaza ist es anders, in der Plaza bleibt der Mann durch seinen Mut am Leben und der Stier stirbt. Manchmal geht es auch anders aus, aber das ist nicht vergesehen. In der Plaza geht es darum, zu zeigen, daß der Mut über den Tod und seine Macht triumphiert. Jeder von uns hört dieses Thema auf seine eigene Weise, stets aber wohnt ihm derselbe tiefere Sinn inne und dieser ist, daß der Mensch der brutalen Macht des Lebens gegenüberstellt wird - mag sie nun von außen kommen oder sich in seinem Inneren manifestieren! - Die Tragödie des Mannes besteht darin, daß er Tod austeilt, während er selbst dem Tod unterworfen ist. Dieser Gedanke ist es, der Geist und Gefühl der lateinischen Rasse ergriffen hat."
    "Wissen Sie, was Juan Belmonte in seinen Memoiren schreibt?", fragte Don Alberto. "Er sagte: Am Ende einer Faena, wenn mein Feind außer Atem ist, wenn er sich nicht mehr um meine Muleta kümmert, und ich gegen ihn den Degen erheben muß, empfinde ich Mitgefühl mit ihm, ein Mitleid ergreift mich und ein Schmerz, daß ich den Stier jetzt töten muß; ich empfinde Gewissensbisse darüber, daß ich dieses edle Tier, das mein Leben geschont hat, nun für immer von seinen grünen und glücklichen Weiden hinweg in den kalten Tod schicken muß."
    "Was Juan Belmonte gesagt hat, ist nichts anderes als das, was jeder von uns empfindet, wenn er eine Plaza verläßt", sagte Zeferino Ramos. "Das sind die Gefühle, die das tragische Schauspiel in uns weckt!"
 

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Dr. Andreas Krumbein, 19. April 2006